Wilhelm Seidl lebt seit 1981 mit seiner Frau in der Ungargasse. Die zwei Töchter sind bereits erwachsen und vor einigen Jahren ausgezogen. Als sie ein- zogen, gehörte das Haus noch der Vorbesitzerin Frau Lippert.
Mit ihr konnte ein unbefristeter Mietvertrag abgeschlossen werden. Dies lässt Sie seit dem Kauf im Jahr 2010 von Herrn Dr. Proschofsky zu den glücklicheren Mieter*innen der Ungargasse 25 zählen. Herr Seidl war beruflich in der IT Branche tätig und ist heute pensionierter Hobbymusiker, Handwerker und Radfahrer. Er fühlt sich in seiner Wohnung sehr wohl und möchte so lange wie möglich dort wohnen bleiben. An- gesichts der ungewissen Zukunft des Hauses wirkt er jedoch sehr ruhig und gefasst.
„Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir zu sprechen. Sie kennen das Haus nun schon sehr lange. Welche Ver- änderungen haben Sie wahrgenommen, seit Sie hier wohnen und vor allem seit Dr. Proschofsky das Haus 2010 gekauft hat?“
„Wie sie auf dem Weg in meine Wohnung vermutlich schon bemerkt haben, sind an der Fassade und im Treppenhaus einige Löcher im Putz zu sehen. Diese sind entstanden als Dr. Proschofsky das Haus vermessen hat. Er hat dort Proben genommen, aber diese Löcher nie wieder verputzt oder über- strichen. Die Wände sehen aus wie ein Flickenteppich. Er kümmert sich nur um die notwendigsten Arbeiten. Wichtige Reparaturen wurden zuverlässig übernommen. Wir hatten mal einen Wasserschaden im Bad, den hat Herr Proschofsky sofort behoben und die Kosten zu 100 Prozent getragen.“
„Daraus schließe ich, dass Sie Proschofsky persönlich kennengelernt haben. Wie hat er auf Sie gewirkt?“
„Ja, ich habe ihn schon getroffen. Das erste Mal stand er mit seinem Hausverwalter, Herrn Marhold, kurz nach dem Kauf vor der Tür. Damals
hat er das ganze Haus vermessen lassen und gesagt, dass er ein wenig renovieren möchte. Er war eine richtige Erscheinung. Ein sehr großer Mann, damals noch mit langen blonden Dreadlocks die er zu einem Zopf gebun- den hatte. Er war zuvorkommend und wirkte sehr korrekt, aber man merkte auch, dass er ein Geschäftsmann ist. Er lebt übrigens hier im Innenhof mit seinen vier oder fünf Kindern in dem neuen Glasbau, der gerade hinter dem Bauzaun entsteht.“
„Was geschah nach der Vermessung?“
„Kurze Zeit nach der Vermessung setzte Herr Dr. Proschofsky bereits einen neuen Mietzins an. Zuvor galt eine Wohnfläche von 121 m2. Nach der Ver- messung setzte Dr. Proschofsky als Fläche 130 m2 fest, dementsprechend erhöhte sich auch die Miete. Ich vermute, dass er nun die Veranda mit ein- gerechnet hat. Im gleichen Zuge wollte er mir dann auch noch einen Miet- zins der Kategorie A unterjubeln. Bei solchen Sachen musste man immer etwas vorsichtiger sein und seine Verträge gut kennen. Durch Kleinigkeitenhat er gerne mal versucht mehr Geld rauszuholen, das war auf jeden Fall kein Versehen. Als ich ihn darauf angesprochen habe, hat er allerdings sofort reagiert und seine Forderungen zurückgenommen. Bei anderen Bewohner:innen, hatte er aber bestimmt Erfolg.“
„Hatten Sie abgesehen von diesem Konflikt noch Kontakt zu ihm und gab es weitere ‚Versuche‘, die Miete zu erhöhen?“
„Einmal bin ich noch mit ihm zusammen gekracht bzw. mit dem Hausver- walter Herrn Marhold. Das muss 2014 gewesen sein. In dem Jahr wurde der Lehmboden im Keller durch einen Estrichboden ersetzt.
„Ich habe ihn auf eine Besitzstörung hingewiesen. Daraufhin hat sich Dr. Proschofsky eingeschaltet und mit mir ein Treffen vereinbart. Er entschuldigte sich aufrichtig bei mir für die Benimmart seines Hausverwalters und bot mir ein Zwischenlager an. Seit diesem Vorfall war das Verhältnis gut. Man musste ihm einmal auf die Füße treten, dann war er in allem sehr korrekt.“
„Ich habe noch eine etwas persönlichere Frage. Sie haben in Ihrer Mail geschrieben, dass Herr Dr. Proschofsky 2014 bei der Baubehörde den Antrag auf Abbruch gestellt hat. Dieser wurde im Sommer 2021 bewilligt. Wie haben Sie sich gefühlt als Sie davon erfahren haben, dass der Antrag genehmigt wurde?“
„Zu allererst habe ich mich hingesetzt und im Mietergesetz nachgeschaut, was bei einer Kündigung wegen Abriss passieren könnte. Im Mietergesetz steht, dass Herr Dr. Proschofsky uns zwei Ersatzwohnungen anbieten müsste, wenn er uns aus dem unbefristeten Mietverhältnis entlassen will. Wir sind aber nicht verpflichtet, diese Wohnungen zu akzeptieren. In diesem Fall würden wir eine Ersatzkostenzahlung erhalten. Für eine Wohnung unse- rer Größe würden wir mit 100.000 € bis 300.000 € rausgehen. Deswegen sind wir relativ entspannt und lassen die Dinge erst einmal kommen.
“„Betrifft dies auch noch andere Mieter:innen im Haus oder sind Sie die einzige Wohnpartei, die aktuell noch einen unbefristeten Vertrag hat?“
„Es gibt fünf Stiegen mit je vier Wohnungen also insgesamt 20 Parteien. Im Haus wohnen nur noch sechs Personen mit unbefristeten Mietverträgen. Drei davon bei uns im vorderen Teil, eine ältere Dame im rechten Flügel
und ein älterer Herr im linken Flügel. Die restlichen Bewohner:innen haben Mietverträge die auf drei Jahre befristet sind. Es ist also davon auszuge- hen, dass bis Mitte/Ende 2025 alle Verträge auslaufen. Wir waren mit zwei weiteren Parteien zusammen bei der Mietervereinigung, um uns beraten zu lassen. Dort wurde uns vermittelt, dass wir auf keinen Fall ausziehen sollten. Einmal wegen der oben erklärten Abfindung und zusätzlich benötigt Herr Dr. Proschofsky eine gerichtliche Kündigung. Da reicht nicht einfach ein Aushang oder eine E-Mail irgendwo. Und wenn diese Kündigung kommt, muss er mit allen sechs Parteien vor Gericht und dort die Abfindungen klären.“
„Unsere Zeit ist leider schon zu Ende, aber ich bedanke mich herz- lichst bei Ihnen für Ihre Zeit und wünsche Ihnen nur das Beste.“
(Interview geführt von Thea Bonatz (Jänner 2024), Interview mit Wilhelm Seidl)